Medizinisches über Querschnittlähmung
Freitag, 28. Juli 2006
London (ddp).
Amerikanische Forscher haben einen Wachstumsfaktor entdeckt, der die Regeneration von verletzten Nervenfasern im zentralen Nervensystem stimuliert.
Normalerweise können die Nervenzellen im Hirn und Rückenmark von Erwachsenen nach Verletzungen nicht wieder wachsen. Die Substanz namens Oncomodulin könnte einmal bei der Behandlung von Nervenschäden im Auge eingesetzt werden, hoffen die Wissenschaftler um Yuqin Yin von der Harvard Medical School in Boston. Über ihre Arbeit berichten die Forscher im Fachmagazin «Nature Neuroscience» (Online-Vorabveröffentlichung, doi:10.1038/nn1701).
Die Wissenschaftler untersuchten Sehnerven, die die Netzhaut des Auges mit dem visuellen Zentrum im Gehirn verbinden. Diese Nerven dienen Forschern häufig als Modell, um die Erneuerung von Nervenzellen in Hirn und Rückenmark zu untersuchen. In ihrer Studie brachten die Forscher um Yin Nervenzellen der Netzhaut in einer Petrischale mit Oncomodulin und anderen Substanzen in Kontakt. Daraufhin verdoppelte sich das Wachstum der Nervenfasern fast. Keine andere Substanz wirkte als ähnlich starker Wachstumsfaktor. Auch bei Versuchen mit lebenden Ratten mit Verletzungen der Augennerven konnten die Forscher die wachstumsfördernde Wirkung von Oncomodulin beobachten. Die Substanz regte in den Tests die Regeneration der Nervenzellen um das Fünf- bis Siebenfache an. Die Forscher führen die Wirkung der Substanz darauf zurück, dass Oncomodulin eine Vielzahl von Genen anschaltet, die das Wachstum der Nervenzellen steuern. Oncomodulin könnte sich eines Tages bei der Behandlung von Schäden an Nerven des Auges als nützlich erweisen, die durch Tumoren oder durch Verletzungen entstanden sind.
Der Wachstumsfaktor könnte auch zur Behandlung des Grünen Stars eingesetzt werden. Bei dieser auch Glaukom genannten Augenkrankheit führt ein erhöhter Augeninnendruck zur Beschädigung des Sehnervs. Die Forscher wollen nun erproben, ob die Substanz auch zur Behandlung von Nervenzellen eingesetzt werden kann, die bei Schlaganfällen oder Rückenmarksverletzungen geschädigt werden. Möglicherweise kann die Wirkung zudem noch durch zusätzliche Stoffe gesteigert werden, die Wachstumshemmstoffen entgegenwirken.
Quelle: Ostfriesland-Handicap.de
Dienstag, 18. Juli 2006
Für Querschnittgelähmten war es wie ein Wunder
Ein schwerer Motorradunfall vor 2 Jahren. Sieben Wochen auf der Intensivstation zwischen Leben und Tod. Das Leben gewann, aber Ralf Reichert aus Bondorf in Baden-Württemberg blieb querschnittgelähmt. Wie die meisten seiner Leidensgenoss(inn)en kann der 23-jährige die Funktion seiner Blase nicht mehr steuern. Jetzt hat ihm ein interdisziplinäres Chirurgenteam am Universitätsklinikum Tübingen mit einer europaweit zum ersten mal angewendeten Operationstechnik die Kontrolle über seine Blase wiedergegeben.
Die nicht mehr steuerbare Blase führt bei vielen Querschnittgelähmten zu medizinischen Problemen( Nebenwirkungen, Unverträglichkeiten, Verstopfung, Infektionen, schweren Nierenschädigungen) und Einengung des sozialen Bereichs. Sie sind auf Windeln, Katheter, oder andere Hilfsmittel und damit meist auch auf Hilfe anderer angewiesen. Ralf Reichert vor der Operation auf die Frage, was er sich von ihr erhofft: das fehl funktionierende Organ wieder kontrollieren, mit Freunden wieder etwas unternehmen und am Leben wieder aktiver teilnehmen zu können-"das wär ein Wunder."
"Viele Patienten haben mit dem Rollstuhl kein Problem, kommen aber mit dem Katheter nicht so gut zurecht", so die Erfahrung von Privatdozent Dr. Karl-Dietrich Sievert, speziell in der neuen OP-Technik ausgebildeter Neurourologe an der Urologischen Uniklinik. Doch eine befriedigende Therapie des Kontrollverlustes gab es bisher nicht. Ein implantierter Schrittmacher erlaubt zwar eine Steuerung durch Elektrostimulation, aber er macht die Durchtrennung zahlreicher Nervenbahnen nötig, ist nicht gegen Infektionen gefeit und bleibt ein Fremdkörper. Von solchen Fremdkörpern will man aber, so der Chef der Tübinger Uniklinik für Urologie Prof. Arnulf Stenzl weg- und zu physiologischen (natürlichen) Möglichkeiten hinkommen. Das neue Operationsverfahren zur Wiedererlangung der Blasensteuerung baut auf einer Nervenrekonstruktion im Bereich der Wirbelsäule auf - Stenzl: "Wir greifen mit dieser speziellen Operationstechnik auf Gewebestrukturen zurück, die vorhanden, aber nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck zu gebrauchen sind."
Impulsgeber für Blase
Durch die Querschnittverletzung wird die Verbindung zwischen Kontrollstation Gehirn und der Blase unterbrochen. "Die vom Gehirn ausgesandten Impulse erreichen die Blase nicht mehr", so Prof. Marcos Tatagiba, Leiter der Neurochirurgischen Uniklinik. Zwar funktionieren die Reflexbögen (Verbindung von Gefühl und Bewegung) in der zweiten Kontrollstation, dem Rückenmark, noch, "aber der Reflex reicht für eine Reaktion - in diesem Fall des Blasenmuskels - nicht mehr aus" Die Lösung des Kontrollproblems:Eine Wiederbelebung der Kommunikation zwischen Sensorik und Motorik. Tatagiba: Wir nehmen einen wegen der Querschnittlähmung nicht mehr nutzbaren, aber nach wie vor intakten Nerv vom Bein, der für die Fußfunktion zuständig ist und leiten ihn zur Blase um."
Dazu wird von dem Fächer-und klinikübergreifenden Ärzteteam der Unikliniken für Urologie und Neurochirurgie sowie Querschnittspezialisten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik sozusagen in Hand-in-Hand-Arbeit der motorische Nervenwurzel-Anteil, der vorher den passenden Oberschenkelmuskel versorgt hat, mit einem entsprechenden Nerv der Blase zu einem neuen Reflexbogen verbunden, die sensorischen Fasern des Nervs bleiben unangetastet. Sie sollen später als Impulsgeber für die Blase fungieren: Indem der Patient den Oberschenkel berührt/reibt, baut er über diese Verbindung einen Reiz auf die Blase auf und kann dann Wasser lassen.Sofort wird das freilich nicht funktionieren. Bei guter individueller Betreuung wird der Lernprozess des neuen Regelkreises etwa ein halbes Jahr dauern, rechnen die Tübinger Chirurgen und Querschnittexperten, und dann wird man auch erst definitiv sagen können, ob der Eingriff gelungen ist. In China und den USA liegt die Erfolgsrate dieser von Prof. Chuango Xiao in den letzten Jahren entwickelten und angewendeten Methode derzeit bei 70 Prozent. " Wir hoffen aber mit der bei uns eingesetzten mikrochirurgischen und in einigen Details weiterentwickelten Operationstechnik dieses Ergebnis weiter zu verbessern", sagt der Chef der Neurochirurgie.
Quelle: www.ostfriesland-handicap.de
Donnerstag, 13. Juli 2006
Molekül Ephirn-B3 stoppt Wachstum der Nerven nach Rückenmarksverletzungen
Bei der Nervenregeneration nach Rückenmarksverletzungen spielt die Isolationsschicht um die Nervenzellen eine wichtigere Rolle als bislang angenommen: Amerikanische Forscher haben entdeckt, dass einer der Inhaltsstoffe dieser so genannten Myelinschicht eine effektive chemische Barriere bildet, die das Zusammenwachsen der Nerven verhindert. Gelänge es, die blockierende Wirkung der Substanz namens Ephrin-B3 zu verhindern, könnte möglicherweise die Regenerationsfähigkeit der Rückenmarksnerven verbessert werden.
Myelin, eine Mischung verschiedener Proteine und anderer Moleküle, umgibt wie die isolierende Kunststoffschicht um ein Kabel die langen Fortsätze von Nervenzellen. Dabei sorgt es einerseits für die Stabilität der Nerven und verhindert andererseits, dass es durch Kontakte zwischen verschiedenen Nervenzellen zu elektrischen Kurzschlüssen kommt. Bereits seit längerer Zeit wird Myelin jedoch auch eine Doppelrolle bei Rückenmarksverletzungen zugeschrieben: Das freigesetzte Myelin fördert offenbar nicht nur die problematische Narbenbildung, sondern blockiert zusätzlich auch das Wachstum der Zellen. Welche Bestandteile der Isolationsschicht jedoch dafür verantwortlich sind, ist bislang nur teilweise geklärt.
Eine Schlüsselrolle dabei spielt Ephrin-B3, konnten die Wissenschaftler um Benson nun nachweisen. Dieser Stoff ist bereits aus der Embryonalentwicklung bekannt, wo er neu gebildete Nervenfasern in die richtige Richtung dirigiert. Dazu bildet das Ephrin überall dort, wo die Nerven nicht hingehören, abstoßende Hindernisse, so dass die Zellen nicht weiterwachsen können. Was jedoch beim Embryo für die korrekte Gehirn- und Rückenmarksentwicklung unerlässlich ist, verhindert beim erwachsenen Menschen die Heilung von Nervenverletzungen: Ließen die Forscher nämlich ausgereifte Nervenzellen im Labor zusammen mit Ephrin-B3 wachsen, reagierten die Neuronen genauso wie nach einer Verletzung und stellten jegliches Wachstum ein.
Die Wissenschaftler sind überzeugt, mit Ephrin-B3 einen der Schlüsselfaktoren der Wachstumsblockade identifiziert zu haben. Bevor jedoch Rückenmarksverletzungen tatsächlich geheilt werden können, müssen zusätzlich weitere Schwierigkeiten überwunden werden – beispielsweise die Narbenbildung oder die extrem langsame Wachstumsrate der Nervenzellen.
Douglas Benson (Universität von Texas, Dallas) et al.: PNAS, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1073/pnas.0504021102
ddp/wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel